Leseprobe zum Roman
"Lebenswege"
1. Kapitel (auszugsweise)

Die aufkommende Nacht ließ nur noch geringe Sonnenstrahlen durch das mit pastellfarbenen Gardinen abgedeckte Fenster hindurch. Das winzige Licht blieb am Kronenleuchter hängen; es brachte die glitzernden Kristallgläser zum Glänzen. Ein herrlicher Anblick, der an die wahnsinnig schönen, meterhohen Glasfenster barocker Kirchen erinnerte, wenn auch in diesem Augenblick die Farbenpracht fehlte. Je mehr das Helle in dem Bleikristall verschwand, desto schläfriger wurde ich, bis ich in einen Tiefschlaf versank.

Am Morgen darauf erweckte mich ein Vogelgezwitscher am Fensterglas. Im Bett sitzend betrachtete ich die von mir eroberte Räumlichkeit: eine Pensionswohnung, unweit Potsdams, alles meinem Wunsche entsprechend, zugegeben, ein wenig anspruchslos.

Langsam und leise ging ich an die Fensterscheibe. Ein kleiner Vogel mit orangeroter Einfärbung der Kehle und der Vorderbrust stand einsam am linken Ende des Simses am Fenster. Ich näherte mich ihm behutsam, um dieses einzigartige Wesen für eine Weile beobachten zu könen.

Zaghaft trat ich dann wenige Schritte nach hinten; ich setzte mich auf einen, etwas älterren, antiquarisch anmutenden, mit außergewöhnlichen Schnitzereien versehenen Stuhl. Sodann schaute ich das wunderbare singende Kleinod durch den Fensterflügel an. Ich lauschte dem Gesang und erinnerte mich an die hohen Töne der Sopranistin, die ich am Vorabend in der Oper andächtig, ja hingebungsvoll vernehmen durfte. Aber irgendetwas hatte im gleichen Moment das Vögelchen zum Wegfliegen provoziert. Der liebenswürdige Klang am Fenster verhallte. Leere Stille kehrte in diesen Raum zuzück. Noch ist es für die Vögel Zeit, in unseren Breitengraden verweilen zu können, bis der Oktober sie drängt, in südlichere Gebiete fliegen zu müssen.


"Für Claudette", flüsterte mir unerwartet eine angenehme warme Stimme zu.
Ich schaute nach oben und erkannte die sinnlichen Augen, die mir zu Beginn der Pause einen Blick entgegneten. Es waren dieselbigen, die auch in dem besagten Restaurant am Vortage ihren Schein auf mich richteten. Sie war die Pianistin.
Verblüfft und erschrocken zugleich erwiderte ich mit zitternder Stimme "aber natürlich, sehr gern". Ich schrieb: "Für Claudette, alles Liebe, Mark Steinberg."

Lächelnd und graziös entfernte sie sich in der noch beharrlich wartenden Menschenmenge, die mich fernerhin viele Minuten bedrängte. Der weitere Ablauf belastete meine Psyche auffallend, denn ich hatte mit einem Mal keine Ambitionen mehr, diese für mich gleichsam sinnlose Schreiberei fortzuführen. Ich dachte unentwegt an jene zaghafte Begegnung, die sich stilvoll bekleiden verstand: Sie trug ein weißgraues Jackett mit einem schwarzen Pullover, der mit einer Goldkette und einem goldenen Anhänger dekoriert war. Die weißschwarze feinstkarierte Hose hatte vollen Einklang mit den grauweißen schwarzumrandeten Schuhen und halbhohen Absätzen. Bewunderungswürdig war außerdem das ebenfalls weißschwarze melierte Halstuch. Eine Frau wie eine Modeerscheinung par excellence.

Der Tag hatte folglich zwei besonders schöne Offenbarungen: die glanzvolle Darbietung meiner schriftstellerischen Virtuosität und die einzigartige Wahrhaftigkeit, dass der Traum einer wahren Liebe nicht ohne Hoffnung sein möge.


4. Kapitel (auszugsweise)

Der Übergang in das neue Lebenszeitalter stellt für jedermann ein besonderes Ereignis dar, ging mir durch den Kopf. Wer sich nicht rechtzeitig darauf vorbereitet, hat es mitunter schwer, den Beginn dieses neuen Lebensabschnittes gesund überschreiten zu können. Oft sind depressive Stimmungen vorgezeichnet, die manch' einem in arge Bedrängnis bringen kann.
Diese negative Seelenlage hatte mein Vater jedoch nicht, auch wenn er im ersten Moment kein freudvolles Gemüt präsentierte.
"Man könnte auch ins Seniorenheim gehen. Dort wird man umsorgt, kann entspannt seine Zeitung lesen", unterbrach Max plötzlich die Ruhe.
"Ich umsorge dich, wie immer - ist das nicht genug? Fürs Heim sind wir noch viel zu jung. Warte es ab, wer weiß, was später ist", entgegnete sie im forschen Ton mit Nachdruck.
"Ich weiß, du meinst dieses ja nicht so, wie du es sagst", ergänzte sie. "Denke daran, wir sind bald zweiundvierzig Jahre verheiratet!"
"Und das bei vollem Bewusstsein!", gab ich schmunzelnd zum Besten.


26. Kapitel (auszugsweise)

Bei der Heimkehr erwarteten mich unzählige Aufgben. Laptop erhitzte sich, weil ich unentwegt die Tasten niederdrückte, um meinen neuen Roman Wort für Wort fortzusetzen. Tagsüber erlaubte ich mir eine Auszeit, um die notwendigen Lebensmittel einzukaufen. An allen anderen Stunden saß ich an der Tastatur lund trommelte auf ihr herum. Viele Ideen kamen und verschwanden. Oftmals gab es eine tiefe Leere in meinem Gehirn. Dann trank ich klein wenig über den Durst und legte mich für kurze Zeit zur Ruhe. Diese Unterbrechung benötigt wohl jeder Autor, dachte ich. Der Abend ist mir dann meist wohl gesonnen. Da regen sich die Gehirnzellen überaus intensiv, die Synapsen sind auf Hochtouren. Am Morgen danach überprüfe ich allerdings konstant das Geschriebene und stelle nicht selten fest, dass ich vielfach gute Ideen hatte, leider auch viele davon verwerfen muss. Sobald mir keine neuen Geistesfunken blitzen, setze ich mich an das Tasteninstrument, meinem geliebten Piano, und spiele leichte Musikstücke von Strauß, Mozart, Chopin, gleichfalls von anderen Komponisten.


29. Kapitel (auszugsweise)

Manon legte einen Bogen Papier in A3-Größe auf die Staffelei, nahm ihre Farbpalette und begann mit einem dicken Pinsel verschiedene Aquarellfarben aufzutragen. Das ist ein Himmel, slao hellblau. Das ist Wasser - ein See - dunkelblau. Hier gibt es einen Wald - dunkelgrün und hier die grü+ne Wiese - hellgrün. Dahinter male ich etwas Bräunlich-Graues - das sollen Berge sein. Die weißen Punkte auf dem hellen Grün sind Blümchen. "Oh, wie schön das wird", unterbrach Yara Mutters Malerei. "Das Bild ist nicht fertig. Man muss, wenn die ersen Farben getrocknet sind, weitere Farben aufmalen und die Feinheiten herausstellen", ergänzte sie ihre Auführungen. "Das müssen wir ausstellen", erklärte Yara übermütig. "Das Bild möchte ich haben", widersprach sie ihrer Aussage. "Du wirst später auch einmal so malen wollen." "Oh, ja. Das werde ich wollen."

zurück